Die Nische im Netz

4 Aug. 2017 / Pressespiegel

Der Umsatz mit Kunst im Internet wächst. Weniger bei hochpreisigen Bildern
oder Skulpturen, eher im Bereich erschwinglicher Editionen.

Der Kunstmarkt lässt sich schwer in Zahlen fassen. Zu zersplittert ist die Branche, zu verschwiegen sind die Marktteilnehmer. Das  vermeintlich transparente Internet kann da nur wenig Licht ins Dunkel bringen. Auktionspreisdatenbanken wie Artnet, Artprice, Art Sales  Index oder Invaluable machen zwar Versteigerungsergebnisse zugänglich und vergleichbar, doch über Größe und Umsätze des  Onlinehandels insgesamt sagen sie wenig aus. Vor zehn Jahren kam das erste iPhone auf den Markt, und während zum Teil ganze Branchen nahezu komplett ins Internet abgewandert sind, bedeutet es für den Kunsthandel immer noch weitgehend Neuland.

Auf der anderen Seite gieren Investoren, Journalisten, Händler und Sammler nach Zahlen. Clare McAndrews „Art Market Report“ für Art Basel und die UBS (früher für die Tefaf) war lange konkurrenzlos und galt allein deshalb als Branchenstandard. Seit einiger Zeit bemüht sie sich um einigermaßen glaubwürdiges Zahlenmaterial zum Kunstmarkt im Internet. Sie widmet ihm im aktuellen Report vom Juni allerdings nur ein Kapitel, keine eigene Studie. Für McAndrew liegt der Onlinekunsthandel bei 4,9 Milliarden US-Dollar, vier Prozent mehr als 2015. Am gesamten Kunstmarkt ist er mit neun neun Prozent beteiligt.

Ein etwas anderes Bild vermittelt der kürzlich veröffentlichte „Tefaf Art Market Report: Online Focus“, der sich detailliert mit dem Thema beschäftigt und um Wissenschaftlichkeit bemüht ist. Nach dem Abgang ihrer Analystin hat die Tefaf mit Rachel Pownall eine Professorin für Kunstmarktstudien der Maastrichter Universität verpflichtet. Ihre Zahlen unterscheiden sich zum Teil deutlich, einfach weil beide unterschiedliche Ansätze haben und Pownall etwa viel weniger Unternehmen zum Kunstmarkt zählt. So errechnet die Tefaf-Studie 3,1 Milliarden Dollar Umsatz im Onlinekunsthandel. Allerdings sieht sie auch den Gesamtmarkt kleiner mit 45 Milliarden Dollar und den Anteil des Internets damit bei knapp sieben Prozent. Bis zum Herbst sollen Gruppen von je zehn Tefaf-Ausstellern (Tefaf Ten) über eine Microsite an netzaffine, neue Käufer gelangen. Der Ende April erschienene „Hiscox Online Art Trade Report 2017“ wiederum sieht den Kunsthandel im Internet rasant wachsen. Er liege derzeit bei 3,4 Milliarden Dollar, das ist ein Plus von 15 Prozent gegenüber 2015, und einem Marktanteil von 8,4 Prozent.

Über Herkunft und Qualität der Daten aller drei Untersuchungen lässt sich trefflich streiten. Abgesehen von den  schwierigkeiten, die quantitative Erhebungen zum Kunstmarkt generell bereiten, kommt bei der Betrachtung des Onlinehandels das Problem der Abgrenzung hinzu: Sind über den Computer oder das Smartphone abgegebene Gebote auf traditionellen Auktionen Onlineverkäufe? Wie ist ein Galerieverkauf zu werten, bei dem ein Sammler im Netz auf ein bestimmtes Kunstwerk aufmerksam geworden ist und dann die Galerie besucht hat? Wem sind Verkäufe über Internetportale zuzurechnen: dem Portal oder der Galerie, die das Kunstwerk dort eingestellt hat – oder fließen sie am Ende gar doppelt in die Studien ein?

Die Bedeutung des Internets als Marktplatz für Kunst lässt sich also schwer messen und wird wahrscheinlich eher über- als unterschätzt. Diese Erfahrung mussten bereits mehrere Unternehmen und ihre Investoren machen. Die Pleite von Auctionata Paddle8 Anfang des Jahres spricht für sich. Als aggressive Disruptoren wollten die fusionierten Unternehmen – mit über 140 Millionen Dollar Risikokapital ausgestattet – Marktanteile am Handelsvolumen ergattern und andere Wettbewerber verdrängen.

Auf Information und Kooperation setzt daher Artsy, ein Unternehmen, das ebenfalls mit viel Venture Capital ausgestattet ist. Kürzlich hat eine neue Finanzierungsrunde die Summe auf 100 Millionen Dollar glatt verdoppelt. Artsys Head of Auctions Devang Thakkar betont: „Kooperation statt Disruption ist integraler Bestandteil unseres Erfolgs. Anstatt über eine vertikale Disruption etablierte Marktteilnehmer auszuschließen, haben wir uns mit den führenden Playern zusammengetan, um ihre Netzwerke zu vergrößern.“ Über Zahlen spricht bei Artsy niemand gerne. Nur so viel lässt sich das schnell wachsende Unternehmen entlocken: Die Plattform eröffne den teilnehmenden Galerien ein Handelsvolumen von 20 Millionen Dollar im Monat.

Rüdiger K. Weng ist ein Veteran des Geschäfts. Um 2000 war er zwischenzeitlich Eigentümer und CEO der deutschen Plattform Kunstmarkt.com. Vor einigen Jahren hatte er mit anderen versucht, die an der Frankfurter Börse notierte Artnet AG zu übernehmen. Gleichzeitig ist er als Kunsthändler tätig, CEO und Mehrheitsaktionär der Weng Fine Art AG, die wiederum mit der Schweizer WFA Online AG im Internet aktiv ist. Weng sieht die größte Chance für die Branche weiterhin weniger im Onlinehandel: „Meiner Einschätzung nach liegt der größte Nutzen des Internets für den Kunstmarkt derzeit immer noch in der Informationsbeschaffung. Kunstunternehmen können heute mit viel geringerem Zeitaufwand weltweit Kunst und Kunstkäufer finden, als dies noch vor 20 Jahren der Fall war.“

Wie hartnäckig sich gerade ältere Sammler dem Internet verweigern, erfahren die Handelsplattformern ununterbrochen. Artnet startete Ende der 1980er-Jahre mit einer Auktionspreisdatenbank und versuchte sich erstmals zehn Jahre später nach einem Börsengang am damaligen Neuen Markt mit Onlineauktionen, die bald wieder aufgegeben werden mussten. Seit 2010 wagt sich das Unternehmen wieder an  Versteigerungen heran und hat trotz enormer Anlaufverluste zuletzt (2016) lediglich 2,9 Millionen Euro Umsatz in dieser Sparte erzielt.

Weng glaubt: „Kunstkäufer sind in aller Regel eher konservativ, wohlhabend und traditionsliebend. Außerdem ist ihnen das Kauferlebnis selbst sehr wichtig. Von daher rechnen wir mit einem nur relativ langsam wachsenden Kunst-Onlinemarkt und dort auf eine Fokussierung auf homogene Güter, etwa druckgraphische und skulpturale Editionen. Das geringe Wachstum von Artnet über die letzten 15 Jahre sowie die Pleiten von Auctionata Paddle8 und vieler anderer Kunst-Online Start-ups beweisen, dass es weiterhin an Volumen und Wachstum fehlt. Da hilft auch das Schönreden und Schönrechnen in den diversen Veröffentlichungen nicht. Durch ein entsprechend an die Realitäten angepasstes Geschäftsmodell lässt sich allerdings in diesem Markt mit relativ schwacher Konkurrenz durchaus auch Geld verdienen, wie die Zahlen der WFA Online AG beweisen. Oder man hofft auf die demografische Entwicklung. Rachel Pownall hat in
ihren Umfragen für die Tefaf-Studie herausgefunden, dass 57 Prozent der 25- bis 34-Jährigen gerne Kunst im Internet kaufen würden. Dann müsste die Branche sich nur noch gedulden, bis diese Generation so viel Vermögen angehäuft hat, dass dort auch höherpreisige  Ware gehandelt werden kann.

HANDELSBLATT | WOCHENENDE 4./5./6. AUGUST 2017, NR. 149 | VON STEFAN KOBEL Wien