Zeitgenossen bescheren Auktionshaus Ketterer satte Umsätze

14 Juni 2018 / Pressespiegel

Katharina Grosse - Die großformatige Leinwandarbeit „Ohne Titel“ kletterte von geschätzten 80.000 auf 275.000 Euro. (Foto: Ketterer; VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Hohe Zuschläge für zeitgenössische Kunst bescheren dem Münchner Versteigerer satte Umsätze. Die Klassische Moderne dagegen muss Einbußen hinnehmen.

MünchenWer wissen will, worin die Stärke des deutschen Kunstmarkts besteht, sollte nicht nur auf die wenigen Millionenzuschläge der Saison schauen. Viel Potenzial liegt in dem Segment darunter. Das haben vor allem Ketterers Auktionen „Kunst nach 1945“ und „Contemporary“ am 9. Juni 2018 gezeigt.

Rekordpreise erzielten Werke von Tony Cragg, Katharina Grosse und Gunter Fruhtrunk. Damit führt die zeitgenössische Kunst den Markt an. Die Klassische Moderne aber muss Einbußen hinnehmen. Beide Sparten brachten einen exzellenten Gesamtumsatz in Höhe von 21 Millionen Euro.

Gewissheit um den guten Stand eines Künstlers und des angebotenen Werks trieb manchen Zuschlag nach oben. Preislich vital zeigte sich erneut Ernst Wilhelm Nay. Für eine halbe Million Euro (alle Preise inkl. Aufgeld) ging das auf 200.000 Euro taxierte Gemälde „Purpurmelodie“ von 1951 in eine deutsche Sammlung. Fast 540.000 Euro brachte Robert Rauschenbergs Gemälde „County Sweep (Galvanic Suite)“.


Nicht nur für Multimillionäre

Zur starken Mitte gehört auch die Berliner Malerin Katharina Grosse. Seit ihrem Auftritt auf der Biennale in Venedig 2015 und seit ihrem Ausstellungsdebüt bei Gagosian in New York, einem der wichtigsten Global Player unter den Galeristen, sind ihre obsessiven Farb-Abstraktionen in aller Munde.

Von geschätzten 90.000 Euro auf 212.500 Euro stieg eine geometrisch strukturierte Leinwand von 1997. Einen noch größeren Satz machte Grosses schwungvoll-bewegte Komposition von 2010, die für 275.000 Euro an einen deutschen Sammler im Saal ging. Für Deutschland ist das ein Auktionsrekord. Auf dem Londoner Parkett verkaufte Christie’s letztes Jahr einen wolkigen Farbrausch von 2010 schon für umgerechnet ca. 350.000 Euro.

Das Münchener Auktionshaus hat mit der zeitgenössischen Kunst und mit der Klassischen Moderne, die am selben Tag versteigert wurde, satte 21 Millionen Euro umgesetzt. Im Gespräch mit dem Handelsblatt vergleicht Geschäftsführer Robert Ketterer Angebot und Ergebnis mit dem Niveau, das Sotheby’s und Christie’s in London mit den sogenannten Day Sales erreichen. Sie sind im Gegensatz zu den auf eine Handvoll Spitzenobjekte fokussierten Abendauktionen nicht ausschließlich auf Multimillionäre zugeschnitten.

Fast 40 Mal gingen in München die Gebote über die 100.000-Euro-Grenze hinaus. Werke von Gerhard Richter, Enrico Castellani, Konrad Klapheck und Karin Kneffel gehörten dazu.

Ganz für sich sprach das magische, von hellblau bis schwarz changierende konzentrische Feld, das Wojciech Fangor 1965 unter dem Titel „B 99“ fertigte. An 14 Telefonen wurden Interessenten aus Polen, den USA, aber auch aus Monaco und Russland zugeschaltet. Für 200.000 Euro ging das auf nur 30.000 Euro taxierte Gemälde in eine polnische Privatsammlung.

Teuerstes Kunstwerk wurde mit 825.000 Euro Günther Ueckers dichtes, energiegeladenes Nagelbild „Woge. Japan“ von 1995. Aber für einen internationalen Rekord sorgte die monumentale Plastik „Point of View“ des in Wuppertal lebenden, englischen Bildhauers Tony Cragg. Zwei Sammler aus Süddeutschland konkurrierten heftig um die aus Berliner Besitz stammende, monumentale Bronze mit den typischen Formschichtungen. Mit 662.000 Euro wurde sie doppelt so teuer wie erwartet.

Der Erlös für Cragg liegt etwa 20 Prozent über der erst im März von Christie’s gesetzten preislichen Top-Marke von umgerechnet 550.000 Euro. „Dies ist ein sehr bemerkenswerter Auktionspreis. Aber Tony Craggs Kunst hat ziemlich alles, was zum Erfolg bei Sammlern beiträgt: Der Künstler wird weltweit stark wahrgenommen, seine Werke sind ästhetisch und haben einen hohen Wiedererkennungswert, und er ist ein produktiver Künstler, sodass sich ein liquider Markt bilden kann“, sagte der Kunsthändler Rüdiger Weng zum Handelsblatt.


Fällige Preisstabilisierung

Der in großem Stil international tätige Weng ist CEO der börsenorientierten Weng Fine Art AG und beobachtet das Geschehen genau. Sein Unternehmen bezieht Gewinne aus der Preisentwicklung und der international unterschiedlichen Bewertung von Kunstwerken. Die Ketterer-Auktion ist für ihn Einkaufs- und Verkaufsplattform zugleich. Dass Weng nur marktgerechte Werke mit hohen Gewinnaussichten ins Rennen schickt, liegt auf der Hand.

Als Signal werteten manche Beobachter auch den Rekordpreis von 172.000 Euro für Günter Fruhtrunks großformatige Leinwand „Enge-Höhe-Tiefe-Breite“ mit der typischen diagonalen Streifensystematik. „Eine längst fällige Preisstabilisierung und Marktanpassung für die Werke dieses Malers“, so kommentierte der Galerist Walter Storms am Rande der Auktion den Erlös.

Wie kompliziert und disparat derzeit die Kunst des frühen 20. Jahrhunderts in Erscheinung tritt, haben in Ketterers Auktion „Klassische Moderne“ fünf Gemälde von Alexej von Jawlensky gezeigt. Alle blieben unverkauft. Darunter auch das frühe, expressionistische Gemälde „Gelbe Häuser“ von 1909, das mit seiner unteren Schätzung von 250.000 Euro keine überzogene Preisvorstellung in den Ring warf. Der Moderne-Markt ist ein unberechenbares Parkett geworden.

Während Alfons Waldes routinierte, expressive Schnee-Dorf-Szenerie „Aurach bei Kitzbühel“ von 1926/28 schnell auf 525.000 Euro anstieg, gab es für Emil Noldes zauberhaftes, kühn aquarelliertes Porträt „Ada“ nur ein Untergebot von 120.000 Euro. Sammler erwarten von großen Namen großartige, bedeutende und typische Werke. Andererseits bewegt sich die Einsatzfreude auf den Nullpunkt zu. Oder sie wendet sich den reizvollen Werken nicht ganz so ausgereizter Modernevertreter zu.

Das rhythmisch abstrahierte Gemälde „Maskenball“ des Bildhauers William Wauer etwa schoss von aufgerufenen 25.000 auf 100.000 Euro. Auch Josef Scharl hatte es bislang nicht in die sechsstellige Preisregion gebracht. Sein Doppelporträt „Der Abend“ aus den 1920er-Jahren lockte mit seinen veristischen Anklängen Sammler aus USA und ganz Europa, obwohl es gar nicht unter den ausgewählten Werken katalogisiert war. Mit dem Erlös von 150.000 Euro, dem Zehnfachen der Taxe, fuhr Ketterer einen weiteren Rekord ein.

Trotz des Wermutstropfens Jawlensky – die Bilanz der Moderne ist mit 7,7 Millionen blendend. Dafür sorgten sechsstellige Ergebnisse mit Werken von Gabriele Münter, Koloman Moser, Lovis Corinth und Emil Nolde.


HANDELSBLATT | DONNERSTAG, 14. JUNI 2018 | VON SABINE SPINDLER